LG Hamburg: Urteil vom 21.07.1992, Az. 403 O 128/91

Entscheidungserhebliche Normen:  § 823 Abs. 1 BGB, § 840 Abs. 1 BGB, § 426 BGB; § 1 AHB (2015)

Hintergrund

Durch Vertragsschluss vom 26.03.1984 war die Klägerin bei der Beklagten produkthaftpflichtversichert.

Die Klägerin lieferte einer Fabrik insgesamt 2200 Hochdruckschläuche mit Überwurfmuttern für Rettungsinseln. Diese sollten dem Aufblasen der Rettungsinseln dienen.

Bei einer im Mai 1986 stattfindenden Vorführung stellte sich heraus, dass die Überwurfmuttern mangelhaft waren und als Folge die Rettungsinseln nicht aufgeblasen wurden. Diesen Mangel rügte die Fabrik bei der Klägerin. Die Klägerin meldete den Schadensfall unverzüglich der Beklagten.

Die Fabrik machte vorerst Gewährleistung geltend. Am 05.06.1986 machte sie die Klägerin für alle Folgeschäden im Rahmen einer Rückrufaktion schadensersatzpflichtig. Die Klägerin erkannte dies an. Die Rückrufaktion wurde von der Fabrik durchgeführt und die Kosten wurden der Klägerin übersandt. Am 28.10.1987 lehnten die Beklagten die Kostenübernahme ab.

Daraufhin zahlte die Klägerin zunächst nicht. Sie wurde von der Fabrik verklagt. Die folgenden Urteile gaben der Fabrik Recht und erlegten der Klägerin die Zahlung des Schadensersatzes und Zinsen auf.

Mit der Klage begehrte die Klägerin (Lieferant, Versicherungsnehmer) von der Beklagten (Versicherung) die Erstattung des Betrages, sowie Zinsen und Gerichtskosten.

Entscheidung

Das LG Hamburg gab der Klage im Wesentlichen statt. Es bestätigte die Haftung des Herstellers gem. §§ 426 Abs. 2 S. 1, 840 Abs. 1, 823 Abs. 1 BGB und bejahte die Versicherung dieser Ausgleichsansprüche, sofern ein gesetzlicher Haftpflichtanspruch zugrunde liegt.

Begründung

Die Nicht-Funktion der Rettungsinseln bedeute erhebliche Gefahren für Leib und Leben der Endabnehmer (Lebensgefahr). Das habe zur Folge, dass eine Rückrufaktion und eine für die Endabnehmer kostenlose Reparatur gerechtfertigt seien.

Die Klägerin habe die mangelhaften Schrauben in den Verkehr gebracht (§1 ProdHaftG) und sei somit der Fabrik im Innenverhältnis zum Ausgleich des entstandenen Schadens verpflichtet. Dies ergebe sich aus den §§ 426 Abs. 2 S. 1, 840 Abs. 1, 823 Abs. 1 BGB. 

Der Rückruf liege im Rahmen der Gefahrabwendungspflicht des § 823 Abs. 1 BGB, zu dem die Klägerin verpflichtet sei.  Die Beklagte sei der Klägerin damit im Zusammenhang mit einem gesetzlichen Haftpflichtanspruch zur Erstattung der Kosten der Rückrufaktion verpflichtet.

Auswertung/ Empfehlung

Im vorliegenden Urteil liegt ein Fall zugrunde, bei dem die Gefahrabwendungspflicht des § 823 Abs. 1 BGB iVm § 1 ProdHaftG einen Rückruf und eine kostenlose Reparatur rechtfertigt und erfordert (!). Das ist notwendig, wenn bei den Endabnehmern ansonsten eine erhebliche Gefahr bestünde (Lebensgefahr).

Wird der Schaden durch den Hersteller (hier die Fabrik) abgewendet, so ist der Lieferant (hier die Klägerin) des mangelhaften und schadensursächlichen Produktteiles ihm zum Ausgleich verpflichtet. Die Anspruchsgrundlage ist in §§ 426 Abs. 2 S. 1, 840 Abs. 1 BGB zu finden (gesamtschuldnerischer Ausgleichsanspruch).

Eine Haftpflichtversicherung hat die Kosten, die

  • aufgrund der deliktischen Haftung (insbesondere der Produkthaftung),
  • mittels eines gesamtschuldnerischen Ausgleichsanspruches,
  • basierend auf einem gesetzlichen Haftpflichtanspruch
  • gegenüber ihrem Versicherungsnehmer (hier: Lieferant)

geltend gemacht werden, zu ersetzen.

Tim Bäuerle, LL.M (Edinburgh), Rechtsanwalt, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

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