BGH: Beschluss vom 01.02.2017, Az. XII ZB 601/15

Entscheidungserhebliche Normen: § 1684 BGB, § 1697 a BGB; § 26 FamFG, § 159 FamFG

Hintergrund

Beteiligte des Verfahrens waren die geschiedenen Eltern eines im Jahre 2003 geborenen Sohnes. Beide haben das Sorgerecht inne. Der Sohn hält sich überwiegend bei der Mutter auf.

Im Januar 2013 trafen die Eltern eine Regelung, nach der der Sohn die Wochenenden im 14tägigen Turnus beim Vater verbringt. Außerdem sollte er die Weihnachtsferien 2013 beim Vater bleiben. Die Eltern regelten den Ferienumgang seither einvernehmlich.

Der Vater erstrebte nun eine Umgangsregelung im Sinne eines paritätischen Wechselmodells. Der Sohn sollte je eine Woche bei der Mutter und dann eine Woche beim Vater verbringen. Ferien und Feiertage sollten gleich aufgeteilt werden.

Das Amtsgericht wies den Antrag des Vaters zurück. Das Oberlandesgericht hielt eine entsprechende Regelung schon aus rechtlichen Gesichtspunkten für unzulässig. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgte der Vater sein Begehren weiter.

Beschluss

Der BGH hat beschlossen, dass

  • eine Umgangsregelung im Sinne eines paritätischen Wechselmodells rechtlich zulässig ist, Ablehnung eines Elternteiles ändert das nicht, entscheidend ist das Kinderwohl;
  • ein entsprechendes Modell eine bestehende Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit der Eltern voraussetzt;
  • ein erheblich konfliktbelastetes Elternverhältnis eine solches Modell regelmäßig ausschließt;
  • das Familiengericht im Verfahren zu einer umfassenden Aufklärung über die geeignete Umgangsform insbesondere durch die Anhörung des Kindes verpflichtet ist.

Die Sache wurde zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das OLG zurückverwiesen.

Begründung

Nach § 1684 Abs. 1 BGB habe ein Kind Recht auf Umgang mit jedem Elternteil und sei jeder Elternteil zum Kindesumgang verpflichtet und berechtigt. Gem. § 1684 Abs. 3 S. 1 BGB könne das Familiengericht über den Umfang des Umgangs entscheiden. Entscheidender Maßstab sei das Kindeswohl (§ 1697 a BGB).

Das familiengerichtliche Verfahren unterliege der Amtsermittlung (§ 26 FamFG). Dabei sei ein 14-jähriges Kind nach § 159 Abs. 1 FamFG anzuhören; ein jüngeres, wenn die Neigungen, Bindungen oder der Kindeswille von Bedeutung für die Entscheidung sind (§ 159 Abs. 2 FamFG). Das sei bei Umgangsregelungen regelmäßig erforderlich.

Das Gesetz enthalte keine Beschränkungen des Umgangsrechts hinsichtlich einer hälftigen Betreuung durch beide Eltern. Eine maximale Vorgabe für den Umfang des Umganges stehe nicht im Gesetz (Wortlaut). Zwar seien § 1687 BGB und andere Bestimmungen auf den Fall einer hauptsächlichen Kindesbetreuung durch einen Elternteil zugeschnitten, während der andere das Umgangsrecht ausübt. Dieses Residenzmodell besage aber nur, dass sich der Gesetzgeber an der tatsächlich hauptsächlichen Gestaltung ausrichte, nicht aber, dass er es als Leitbild ansehe (Systematik). Ein Wechselmodell als Gestaltung sei dem Gesetzgeber bekannt gewesen (Historie). Es sei von ihm auch nicht als kindeswohlschädlich betrachtet worden (Sinn und Zweck).

Ein Streit über den Lebensmittelpunkt des Kindes im Rahmen eines Verfahrens über das Aufenthaltsbestimmungsrecht spreche beim gemeinsamen Sorgerecht der Eltern nicht gegen ein Wechselmodell. Die Sorgerechtsregelung des Gesetzes schreibe eine hauptsächliche Aufenthaltsfestlegung des Kindes nicht vor. Schwierigkeiten bei der praktikablen Festlegung öffentlich-rechtlicher Rechtsfolgen und Leistungen könne auf anderem Wege begegnet werden. Sie machten ein Wechselmodell nicht unzulässig.

Ein angeordnetes paritätisches Wechselmodell stehe ebenso wie eine gemeinhin anerkannte gleichlautende Elternvereinbarung mit dem gemeinsamen Sorgerecht im Einklang. Der Kompetenzrahmen der Eltern sei damit eingehalten. Das Umgangsrecht stelle sich als konkrete Ausgestaltung des Sorgerechtes, ohne elterliche Kompetenzen zu entziehen oder auf den anderen Teil zu verlagern dar. Das Umgangsrecht sei gesetzlich auch nicht auf ein Kontaktminimum oder eine zwei-Wochen-Regelung beschränkt.

Ob ein Wechselmodell in Widerspruch zum Sorgerecht treten könne (bei fehlender Sorgeberechtigung des anderen Elternteils), sei im Einzelfall zu beurteilen. Das rechtfertige aber keinen generellen Ausschluss des Wechselmodells.

Da die umgangsrechtliche Regelung einen geringeren Eingriff gegenüber einer sorgerechtlichen Regelung darstelle, stehe auch der eingeschränkte Rechtsschutz nach § 57 S. 1 FamFG dem Wechselmodell nicht entgegen.

Das paritätische Wechselmodell sei mithin zulässig, über eine Anwendung sei im Einzelfall zu entscheiden. Maßstab sei das Kindeswohl unter Berücksichtigung der elterlichen Grundrechtspositionen. Das Modell sei anzuordnen, wenn es dem Kindeswohl im Vergleich mit den Alternativen am besten entspreche.

Kriterien des Kindeswohls seien:

  • die Erziehungseignung der Eltern,
  • die Bindungen des Kindes,
  • die Prinzipien der Förderung und der Kontinuität,
  • der Kindeswille.

Ein Umgang mit beiden Eltern gehöre im Ausgangspunkt grundsätzlich zum Kindeswohl. Diesem Punkt sei aber kein genereller Vorrang gegenüber anderen Kindeswohlkriterien einzuräumen.

Da Eltern- und Kindeswille nicht zwangsläufig übereinstimmen, sei ein Konsens der Eltern über das Modell wie auch im Sorgerechtsstreit nicht erforderlich.

Das Wechselmodell stelle insgesamt höhere Anforderungen an Eltern und Kind (Pendeln zwischen Haushalten, zwei Lebensumgebungen). Essentiell sei daher die Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit der Eltern. Sei diese nicht gegeben, so stelle das Modell eine Belastung für das Kind dar und wirke somit nicht zu dessen Wohl.

Das Modell sei nicht dafür gedacht diese Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit der Eltern erst herzustellen. Eine besondere Situation ergebe die akute Trennungssituation, hier könne das Wechselmodell auch versuchsweise angewandt werden, um dem Kind eine möglichst wenig belastende Elterntrennung zu ermöglichen. Schließlich habe das Kind hier starke Bindungen zu beiden Teilen.

Auswertung/ Empfehlung

Der BGH ermöglicht durch sein Urteil einen weiten Gestaltungsspielraum bei der Umgangsregelung mit dem Kind oder mit den Kindern getrennter Eltern. Diese kann auch gegen den Willen der Eltern durch das Familiengericht vorgeschrieben werden. Dreh- und Angelpunkt der Entscheidung ist stets das Kindeswohl im Einzelfall.

Grundsätzlich steht es zwar im Kindeswohl Umgang mit beiden Elternteilen zu haben. Dieser Aspekt ist aber nur ein Teil unter mehreren, der zu beachten ist.

Einem Elternteil, der ein paritätisches Modell wünscht ist daher zu empfehlen anhand des Kindeswohls darzulegen, warum so eine Regelung sinnvoll wäre. Beachtlich ist dabei allerdings auch der höhere Aufwand und Umstand für die Eltern und das Kind. Bei den Eltern kann das zu Konflikten führen, die dem Kind nicht zuzumuten sind. Das Kind hingegen sieht sich mit der Schwierigkeit des Wechsels zwischen den Wohnorten und der Umgebung (Freunde, Freizeit- und Sportveranstaltungen, Jugendgruppen, etc.) konfrontiert. Nähe zu Schule und Betreuungseinrichtungen von den beiden Haushalten ist also ein Punkt für das Wechselmodell.

Hohe Konfliktbelastung zwischen den Eltern schließt die Realisierung des Wechselmodells im Sinne des Kindes regelmäßig aus. Allerdings sieht der BGH durchaus die Möglichkeit, dass die Eltern ihren persönlichen Konflikt hinter die Interessen und Wünsche des Kindes zurückstellen können.

Im Gesamten kann nur der Einzelfall mit den tatsächlich vorliegenden Gegebenheiten entscheidend sein.

Gerda Trautmann-Dadnia, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Familienrecht

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